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Kritik am Umgang mit Finanzkriminalität Cum-ex-Ermittlerin Brorhilker wirft als Oberstaatsanwältin hin

Sie hat maßgeblich zur Aufklärung des Cum-ex-Skandals beigetragen, nun verlässt Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker die Justiz. Sie will an anderer Stelle gegen Finanzkriminalität kämpfen – und teilt zum Abschied aus.
Anne Brorhilker: »Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.«

Anne Brorhilker: »Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.«

Foto: Oliver Berg / dpa

Akribisch hat sich Anne Brorhilker in den vergangenen Jahren in die juristische Aufarbeitung der sogenannten Cum-ex-Geschäfte vertieft und ist zur Chefermittlerin in der Sache aufgestiegen. Doch nun hat die Kölner Oberstaatsanwältin angekündigt, die Justiz zu verlassen. Das sagte Brorhilker in einem Interview mit dem WDR (hier gelangen Sie zum ausführlichen Gespräch ). Sie wolle zur Bürgerbewegung Finanzwende wechseln.

Die 50-Jährige habe um ihre Entlassung aus dem Beamtenverhältnis gebeten, sagte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Köln.

Brorhilker selbst äußerte sich im WDR-Interview zu den Gründen . »Ich war immer mit Leib und Seele Staatsanwältin, gerade im Bereich von Wirtschaftskriminalität, aber ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird«, sagte sie. »Da geht es oft um Täter mit viel Geld und guten Kontakten, und die treffen auf eine schwach aufgestellte Justiz.«

Außerdem könnten sich Beschuldigte oft aus Verfahren schlicht herauskaufen, wenn etwa Verfahren gegen Geldbuße eingestellt würden. »Dann haben wir den Befund: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen«, sagte Brorhilker. Sie als einzelne Staatsanwältin könne daran wenig ändern.

Die Politik habe elf Jahre nach Bekanntwerden der ersten Cum-ex-Fälle noch immer nicht hinreichend reagiert. Steuerdiebstähle seien längst nicht gestoppt, es gebe Cum-ex-Nachfolgemodelle. Grund seien fehlende Kontrollen, was bei Banken und auf den Aktienmärkten geschehe.

Wechsel zu NGO Finanzwende

Zugleich kündigte Brorhilker an, sich künftig als Geschäftsführerin der Nichtregierungsorganisation Finanzwende für den Kampf gegen Finanzkriminalität einzusetzen. Ihre Entscheidung, die Staatsanwaltschaft zu verlassen, verglich sie mit folgendem Beispiel: »Als wenn ein Arzt entscheidet, nicht mehr länger einzelne Kranke zu behandeln, sondern in die Forschung geht, um eine Therapie zu entwickeln, das Übel quasi an der Wurzel zu fassen.«

Finanzwende-Vorstand Gerhard Schick, ehemals Grünen-Bundestagsabgeordneter, erklärte: »Ich freue mich, dass Anne Brorhilker ihren Kampf für die Aufklärung von Finanzkriminalität neu ausrichten will – bundesweit und aufseiten der Zivilgesellschaft.«

Brorhilker nahm als Oberstaatsanwältin eine zentrale Rolle bei der Verfolgung von Cum-ex-Steuerbetrügern ein. In rund 120 Cum-ex-Ermittlungsverfahren wurde in Köln unter ihrer Führung gegen 1700 Beschuldigte ermittelt. Durch den Cum-ex-Betrug, der seine Hochphase von 2006 bis 2011 hatte, wurde der deutsche Staat schätzungsweise um einen zweistelligen Milliardenbetrag geprellt. Die Betrugsmasche gilt als größter Steuerskandal der Bundesrepublik.

Bei Cum-ex-Geschäften schoben Investoren Aktien rund um den Dividendenstichtag mit (»cum«) und ohne (»ex«) Ausschüttungsanspruch hin und her. In der Folge erstatteten Finanzämter Kapitalertragsteuern, die gar nicht gezahlt worden waren. Dem Staat entstand so ein Schaden von geschätzten zehn Milliarden Euro.

mmq/dpa